Nicht immer genügt es, den ungefähren Wert einer Immobilie zu kennen. Bei Erbschaften, Gerichtsverfahren oder auch bei einem Verkauf ist der Verkehrswert interessant.
Kommen bei Gerichtsverfahren Immobilien ins Spiel oder geht es um die Berechnung von Abgaben und Steuern, muss der Verkehrswert ermittelt werden. Aber auch sonst kann dieser Wert ziemlich hilfreich sein. Die beiden gerichtlich beeideten Sachverständigen Nikolaus Lallitsch, Sprecher von Raiffeisen Immobilien Österreich, und Andreas Wollein, Geschäftsführer von Realpartners sowie Geschäftsführender Gesellschafter der Liegenschafts-Bewertungsgesellschaft Immobewertung über die Verfahren und diversen Gründe für Liegenschaftsbewertungen.
„Der Verkehrswert wird vom Gesetzgeber als jener Preis definiert, der zum jeweiligen Stichtag im normalen Geschäftsverkehr und auf der Grundlage der rechtlichen Gegebenheiten sowie der tatsächlichen Eigenschaften der Immobilie zu erzielen wäre", erklärt Wollein. Im Prinzip ist das der objektive Wert des Gebäudes. „Aber natürlich nimmt der Sachverständige auch zu dessen Ermittlung eine Marktanpassung mit Zu- und Abschlägen vor", sagt Lallitsch. Wollein ergänzt: „Der Punkt ist, dass es Makler gibt, die den Angebotspreis sehr hoch ansetzen wollen, um einen Vermittlungsauftrag zu bekommen. In der Regel ist die Immobilie dann aber meist lang auf dem Markt, und der Verkäufer muss nachbessern, was problematisch wirken kann."
„Immer dann, wenn es sich um ein Gerichtsverfahren handelt und der Richter einen objektiven Wert benötigt – ob zivilrechtliches oder abgabenrechtliches Verfahren", weiß Wollein. Zur Berechnung von Abgaben und Steuern braucht man ebenfalls den Verkehrswert. Und bei Rechtsgeschäften, an denen Minderjährige beteiligt sind, muss ebenfalls geschätzt werden. Lallitsch ergänzt: „Ist kein Minderjähriger beteiligt, braucht man kein Gutachten. Aber im Sinne der Rechtssicherheit wäre es auch in diesen Fällen anzuraten."
„Laut Liegenschaftsbewertungsgesetz können Bewertungen grundsätzlich nach drei verschiedenen Verfahren vorgenommen werden: Sachwert-, Vergleichswert- und Ertragswertverfahren", weiß Lallitsch. Darüber hinaus gibt es noch zwei Verfahren gemäß der Önorm B1802, nämlich das Residualwertverfahren und das Discounted-Cashflow-Verfahren. Diese beiden werden aber nicht im privaten Bereich, sondern primär zur Bewertung von Bauträgergrundstücken oder Gewerbeimmobilien angewendet.
„Es zielt auf die zukünftigen Erträge der Immobilie ab, die auf die Restnutzungszeit diskontiert werden", erklärt Wollein. Ermittelt wird es durch die Kapitalisierung des zu erwartenden oder erzielten Reinertrags zum angemessenen Zinssatz – und entsprechend der zu erwartenden Nutzungsdauer der Sache.
Wollein: „Beim Sachwertverfahren wird der Bodenwert ermittelt und danach anteilig der Bauwert." Er liegt im Errichtungsjahr bei 100 Prozent, zu Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer bei null Prozent. „Im Prinzip geht es darum, wie hoch der Bauzeitwert am Bewertungsstichtag ist", erklärt er. Die Summe aus Bauzeitwert, Bodenwert und Außenanlagen ergibt dann den Verkehrswert. Beim Vergleichswertverfahren wird der Verkehrswert aus dem Vergleich von Preisen, die für ähnliche Immobilien festgestellt wurden, ermittelt. Wollein: „Ein Blick ins Grundbuch zeigt, wie viel vergleichbare Immobilien mit ähnlicher Lage, Größe und Ausstattung gekostet haben."
Lallitsch: „Von der Art der Immobilie. Sachwertverfahren kommen meist bei Einfamilienhäusern zum Einsatz, Vergleichswertverfahren bei Eigentumswohnungen und Grundstücken." Und das Ertragswertverfahren bei Liegenschaften, die der Renditeerzielung dienen. Also bei langfristig vermieteten Wohnungen, Zinshäusern oder Gewerbeimmobilien.
Immer dann, wenn der objektive Wert eines Hauses benötigt wird – Abgabenberechnung, Steuern, Gerichtsverfahren, Rechtsgeschäfte mit Beteiligung Minderjähriger –, wird ein Bewertungsverfahren angewandt. Durchgeführt wird dieses von allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen oder Immozert-Sachverständigen nach ISO 17024.